Mehr Medienvielfalt! Steinmeier spricht bei den Lead Awards in Hamburg
Bei den „Lead Awards“ werden in jedem Jahr die bedeutendsten Medienerzeugnisse prämiert. Das Magazin der Süddeutschen erhielt den renommierten Preis als bestes Magazin, der Tagespiegel den Preis als beste Zeitung. Als Cover des Jahres gilt nun der Titel des SZ-Magazins, auf dem Peer Steinbrück mit „Stinkefinger“ zu sehen war.
Die deutschen Medien wurden also gefeiert, und sie ließen sich feiern. In diesem Jahr fielen die „Lead Awards“ allerdings in die Zeit einer offensichtlichen Krise. Die wirtschaftlichen Probleme vieler Zeitschriften und Zeitungen sind längst bekannt. Mittlerweile kommt allerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem hinzu, über das ebenfalls nicht mehr hinweggesehen werden kann. Insbesondere im Zusammenhang der Ukraine-Krise zeigt sich, dass Teile der Gesellschaft der Berichterstattung in den großen Zeitungen und in den öffentlich-rechtlichen Sendern misstrauen.
Die ARD zeigte am Sonntagabend ein Interview mit Wladimir Putin, um anschließend bei Günther Jauch darüber zu diskutieren. Und gestern sprach Angela Merkel über die Ukraine-Krise und widersprach in ihrer Rede Putin: Putin missachte internationales Recht. Wie sind die Ansprachen der beiden Spitzenpolitiker einzuordnen? In den Medien beginnen nun die Interpretationen. Und damit liegt wieder die Frage auf dem Tisch: Wem kann der Bürger trauen? Wo beginnt die ungewollte Einseitigkeit, wo vielleicht gar die Manipulation?
Frank-Walter Steinmeier sprach nun in Hamburg bei den „Lead Awards“ über die Krise der Medien. Stefan Niggemeier zitiert Ausschnitte der Rede – mittlerweile ist die Rede auch auf der Internetpräsenz des Auswärtigen Amts einsehbar –, und kommentiert sie nur knapp als „außerordentlich hellsichtig“. Steinmeier spricht davon, dass der „Meinungskorridor“ schon mal breiter gewesen sei. Die Medien berichten insgesamt zu einseitig und bilden damit die vielfältigen Meinungen des Publikums überhaupt nicht ab. Nun sollten die Journalisten ja nicht dem Publikum nach dem Mund schreiben, so Steinmeier weiter, aber sie können ihre Leserinnen und Leser auch nicht dauerhaft ignorieren.
Es herrsche, so folgert Steinmeier, ein Konformitätsdruck in den Medien. Im Blauen Boten liefert Jens Bernert ein Beispiel für diesen Konformitätsdruck, das Steinmeier selbst erlebte: In verschiedenen Medien wurde im Laufe der Ukraine-Krise über eine (mögliche) Invasion russischer Truppen in der Ukraine berichtet. Passende Bilder wurden hierzu gezeigt. Doch vor der UN sprach Steinmeier davon, dass aufgrund der diplomatischen Bemühungen, die eigenen eingeschlossen, eine Invasion verhindert werden konnte. Was denn nun? Viele Medien berichteten über diese diplomatische Leistung jedenfalls gar nicht, sondern hielten vielmehr das Bild eines russischen Einmarschs – oder einer solchen Bedrohung – aufrecht. Das einmal erzeugte Bild des Ereignisses werde in manchen Medien also wider besseres Wissen am Leben erhalten. Das wäre ein Beispiel für einseitige und dadurch fehlerhafte Berichterstattung, und auch weil in diesem Fall Steinmeiers eigene Leistung unterschlagen worden wäre, prangere er – zu Recht – den Konformitätsdruck an.
In der MenschenZeitung dagegen wird Steinmeiers Rede auf zwei Ebenen kritisiert. Erstens sei seine Forderung nicht glaubwürdig, denn gerade die SPD reagiere empfindlich auf abweichende Meinungen. Meinungsvielfalt bei den Medien einzufordern, würde demnach bedeuten, diese im eigenen Haus zu fördern. Zweitens gebe es längst diese Meinungsvielfalt und zwar in den Internetzeitungen und Blogs, die Steinmeier anscheinend nicht zur Kenntnis nehme.
Wie auch immer die Rede Steinmeiers eingeordnet wird, es bleibt sicherlich bemerkenswert, dass ausgerechnet ein deutscher Spitzenpolitiker, der derzeit in der Regierung sitzt, die deutschen Medienhäuser zu einer größeren Meinungsvielfalt auffordert. Inwieweit seine Rede und die anderen Appelle mittel- oder langfristig zu Veränderungen führen und bei den enttäuschten Medienkonsumenten wieder Vertrauen stiften, bleibt abzuwarten. Peer Steinbrücks „Stinkefinger“ wirkt jedenfalls heute anders als zu der Zeit, da das SZ-Magazin mit diesem Titel erschien. Wurde Steinbrück damals noch von vielen Zeitungen als „Pannen-Peer“ vorgeführt, leiden jetzt die Medien unter einem ähnlichen Gesichtsverlust. Steinmeier betonte in seiner Rede genau diese Parallele: Die Krise der Demokratie und die Krise des Journalismus hängen zusammen.